Arzneimittel-Vertriebseinschränkungen: Ausweg Wirkstoff-Rezept?

Immer mehr Vertriebseinschränkungen

Vertriebseinschränkungen von Arzneimitteln nehmen zu: Produktionsausfälle, Rückrufe, Marktmachtmissbräuche oder anderes sind die Ursachen. Die Medien sind voll von Einzelbeispielen, die österreichischen Ärzte und Apotheker samt ihren Patienten müssen´s ausbaden. Hier sind die amtlichen Informationen dazu: https://medicineshortage.basg.gv.at/

In manchen Fällen könnten Ärzte sich damit helfen, dass sie nicht einen Markennamen, sondern einen Wirkstoff mit seinem fachlichen Namen (internationalen Freinamen, International non-proprietary name, INN) verschreiben, zum Beispiel Valsartan statt Valsax®.

Dann könnten Ärzte sich auf fachbezogene Bezeichnungen konzentrieren, statt auf werbungsgeborene Produktmarken. Einem Apotheker stünde es frei, jede einschlägige Arzneispezialität abzugeben, die rechtens am Markt ist.  Und nebenbei vereinfachte sich die Lagerhaltung. Wenn dies auch in vielen Ländern üblich ist, wurde es bisher in Österreich als unzulässig angesehen. Zu Recht?

Inlandsrezept: Markenname Pflicht

Das Rezeptpflichtgesetz sieht – zumindest nach jahrzehntelanger Lesart – vor, dass ein Arzt einen Markennamen einer Arzneispezialität anführen muss, und zwar sogar dann, wenn es eine Fülle gleichartiger Generika gibt.

EU-Rezept: Wirkstoffname Pflicht

Dazu steht im Gegensatz: Stellt ein österreichischer Arzt eine Verschreibung für die gesamte Europäische Union aus, muss er normalerweise den Freinamen verwenden. Dies ist in Richtlinien des Gemeinschaftsrechts vorgesehen und auch seit 2013 ins österreichische Recht aufgenommen. Jedem Patienten steht es frei, ein solches EU-Rezept zu verlangen und es spricht nichts dagegen, es als Kassenrezept auszustellen. Ausländische EU-Rezepte dürfen für eine Expedition in Österreich Wirkstoffnamen oder Markennamen enthalten.

Allerdings: Nach dem Wortlaut des Rezeptpflichtgesetzes dürfen österreichische Apotheken nur Inlandsrezepte (mit Markennamen) oder ausländische EU-Rezepte (mit Markennamen oder Wirkstoffnamen) bedienen. Inländische Wirkstoff-Rezepte sieht das Gesetz auf den ersten Blick nicht vor.

Steht der Markenzwang im Gesetz?

Müssen Ärzte ihre Behandlungsfreiheit und Verschreibungshoheit durch diesen Markenzwang beschränken lassen? Dürfen Apotheken inländische Wirkstoff-Rezepte expedieren?

Die rechtliche Analyse gebietet Zweifel an der bisherigen Verbots-Lesart:

Auf den ersten Blick fällt ins Auge, dass inländische Rezepte dem Markenzwang unterliegen, Rezepte aus der übrigen Europäischen Union jedoch nicht. Ich halte diese auffallende Einschränkung der Behandlungsfreiheit in einer Welt voller Generika für unsachlich und trete für eine neue Betrachtung ein.

Wörtliche Auslegung

Sehen wir uns dazu die Kernbestimmung des Rezeptpflichtgesetzes (§ 3 Abs. 1 lit. c RPflG) genauer an, nach der ein Inlands-Rezept den „Namen des vorordneten Arzneimittels“ zu enthalten habe. Im selben Gesetz steht dem bei EU-Rezepten gegenüber: „den von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen internationalen Freinamen (INN), falls ein INN für das Arzneimittel besteht, oder den einschlägigen chemischen Namen,“ (§ 3a Abs. 1 lit. c RPflG). Die markenfreie Wirkstoffangabe ist also, wie gesagt, bei EU-Rezepten Pflicht.

Demgegenüber wird im Arzneimittelgesetz der Begriff „Name“ in zwei Zusammenhängen verwendet: Einerseits ist der „Name des Arzneimittels“ als Markenname definiert (§ 1 Abs. 15 AMG). Andererseits ist in dieser Definition vom „gebräuchlichen oder wissenschaftlichen Namen“, also dem Wirkstoffnamen die Rede. Da das Rezeptpflichtgesetz nicht ausdrücklich auf eine dieser Begriffsbestimmung des Arzneimittelgesetzes abstellt, kann sich sein Namens-Begriff auf beide genannten Verwendungen des Arzneimittelgesetzes beziehen, auf den Markennamen wie auch auf den Wirkstoffnamen.

Auch ein Blick auf die Begrifflichkeiten der Humanarzneimittel-Richtlinie der Europäischen Union lohnt sich: Sie unterscheidet in den Begriffsbestimmungen zwischen dem „Namen des Arzneimittels“ und der „gebräuchlichen Bezeichnung“. Ersterer ist als Markenname definiert, letztere als Wirkstoffname eines Arzneimittels. Österreichs Recht, sonst sehr wortgetreu in der Übernahme von Gemeinschaftsrecht, verwendet nicht die Begriffe „Name“ und „Bezeichnung“, sondern ausschließlich „Name“, versehen mit Attributen.

In rechtlich zulässiger Auslegung ist daher im Rezeptpflichtgesetz „Name des verordneten Arzneimittels“ sowohl als Markenname als auch als Wirkstoffname zu verstehen.

Verfassungskonforme Auslegung

Zusätzlich gebietet die oben angestellte Sachlichkeitserwägung im Sinne der ärztlichen Behandlungsfreiheit als Berufsausübungsfreiheit verfassungskonform genau diese Auslegung.

Historische Auslegung

Auch die Entstehungsgeschichte der heutigen Termini legis spricht dafür: Bis 2013 hieß die entscheidende Stelle des Rezeptpflichtgesetzes „Bezeichnung des verordneten Arzneimittels“. Sie lag damit näher an den dargelegten Begriffen der gemeinschaftsrechtlichen Humanarzneimittel-Richtlinie und hätte die Möglichkeit einer Wirkstoffverschreibung erst recht nahegelegt. Die Gesetzesänderung wollte an dieser Rechtslage ausdrücklich nichts ändern, wie die Gesetzesmaterialien zeigen. Der Motivenbericht zur Regierungsvorlage sagt nur: „Im Rezeptpflichtgesetz erfolgen redaktionelle Anpassungen.“ Der Bericht des parlamentarischen Gesundheitsausschusses bestätigt dies und auch die parlamentarische Debatte ergab nichts Anderes. Dem Gesetz stimmten alle Parteien zu, über Zustimmungen von Apothekerkammer und Ärztekammer ist nichts bekannt. Daher vermag auch die historische Interpretation das Ergebnis nicht zu ändern:

Österreichische Apotheken dürfen alle Wirkstoff-Rezepte expedieren.

Keine Strafbestimmung

Sollte eine Behörde anderer Ansicht sein, kann sie dieser schwer Geltung verschaffen: Die beschriebene Abgabe auf ein Wirkstoff-Rezept ist nach dem Rezeptpflichtgesetz straffrei. Damit einher geht der Nachteil, dass kein gestrafter Apotheker an den Verfassungsgerichtshof zur Klärung der Rechtslage herantreten kann. 

Kassenhonorierung

Ein österreichisches Kassenrezept mit einem Wirkstoffnamen zu verschreiben, ist für den Arzt zulässig. Das Honorierungssystem des ASVG stellt auf das Rezeptpflichtgesetz ab und kennt keine zusätzlichen Vorgaben über Abgabe oder Verrechnung. Daher ist jedes kassenfreie Arzneimittel, das auf ein Wirkstoff-Rezept abgegeben wird, der Apotheke vom Krankenversicherungsträger zu honorieren.

Fazit

Ärzte, die es ihren Patienten einfacher machen wollen, werden bei Generika-Bedarf vermehrt ihre Behandlungsfreiheit nützen und Wirkstoff-Rezepte ausstellen.