Subversiver Humor: Frei-Testen

Vorgestern wurde der Gesetzesentwurfs für ein Frei-Testen vom COVID-19-Ausgangsverbot zur Gesetzesbegutachtung aufgelegt.  Der Verfassungsdienst empfiehlt seit Jahrzehnten für Gesetze eine Begutachtungszeit von sechs Wochen. Aber fürs Frei-Testen kann es zur Feiertagsruhe offenbar besonders schnell gehen:

Während am Abend des Silvestertags die Staatsoper zwar vor leeren Rängen, aber vor weltweitem Publikum „Die Fledermaus“ spielt, übergibt das Sozialministerium seinen Entwurf dem Parlament. Dort liegt er über Nacht, um am Neujahrstag zur Begutachtung auf der Website des Parlaments zu erscheinen. Stellungnahmen werden am Feiertag, am Samstag und am Sonntagvormittag angenommen.

Bundesländer, Kammern, Gewerkschaften und Staatsbürger haben also eine theoretische Begutachtungszeit von 2 ½ Tagen. Keiner dieser Tage ist ein Arbeitstag – und das bei einem Gesetz, das schwere Grundrechtseingriffe vorsieht. Das Ausmaß dieser Grundrechtseingriffe ist unbekannt, weil die Verordnungsermächtigungen dazu nichts aussagen und die hoheitlichen Presseabteilungen schweigen.

Das Begutachtungsrecht des Staatsbürgers ist nicht nur auf zweieinhalb Ruhetage eingedampft, sondern zusätzlich durch eine Überlastung der Website des Parlaments behindert. Dadurch gehen zahlreiche Bürger-Voten verloren.

Ist es subversiver Humor, dass die zuständige Sektionschefin dieses sogenannte Begutachtungsverfahren „Kurzbegutachtung“ nennt – nach dem Bundeskanzler?

Familientreffen bei Ausgangsverbot?

Die Feiertage um Weihnachten und Neujahr bilden in vielen Familien Gelegenheit, einander zu treffen. Glaubt man den Veröffentlichungen des Gesundheitsministers, ist dies in der heurigen Seuchenzeit strafbar. Die Erfahrung mit Ostererlass und mit falsch dargestellten Besuchsverboten lehrt jedoch, kritisch hinzusehen und die Rechtsquelle, nämlich die jetzt geltende COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, zu analysieren.

Auf sozialministerium.at ist kein Verlass

Man dürfe, heißt es auf der Website sozialministerium.at unter der griffigen Formel 1+1, als Haushalt nur eine einzige haushaltsfremde Person treffen, die überdies Bruder, Schwester, Vater, Mutter, Kind oder „Bezugsperson“ sein müsse. Dies wird aus folgender Bestimmung abgeleitet:

§ 1. (1) Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und zur Verhinderung eines Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung sind das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs und der Aufenthalt außerhalb des eigenen privaten Wohnbereichs nur zu folgenden Zwecken zulässig:
...
3. Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, wie insbesondere
a) der Kontakt mit
aa) dem nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebenspartner,
bb) einzelnen engsten Angehörigen (Eltern, Kinder und Geschwister),
cc) einzelnen wichtigen Bezugspersonen, mit denen in der Regel mehrmals wöchentlich physischer Kontakt oder nicht physischer Kontakt gepflegt wird,
b) die Versorgung mit Grundgütern des täglichen Lebens,
...
(3) Kontakte im Sinne von Abs. 1 Z 3 lit. a ... dürfen nur stattfinden, wenn daran
1. auf der einen Seite Personen aus höchstens einem Haushalt gleichzeitig beteiligt sind und
2. auf der anderen Seite nur eine Person beteiligt ist.

Rechtlich werden soziale Kontakte ähnlich wie der Kauf von Brot und Milch zu den notwendigen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gezählt.

Grundbedürfnisse nicht abschließend aufgezählt

Die Verordnung zählt diese Kontakte demonstrativ, also beispielhaft, auf, wie der Ausdruck „insbesondere“ im Einleitungssatz zeigt. Daran ändert Absatz 3 nichts, weil der sich ausschließlich auf eines der Beispiele, nämlich jenes der littera a bezieht. Es kann daher neben den beispielhaft aufgezählten Fällen noch andere Fälle erlaubter Kontakte geben. Diese Kontakte müssen, gemessen an den Zielen des Ausgangsverbots, den angeführten Beispielen vergleichbar sein.

Normziel ist es, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Mutter oder Vater dürfen nach dem Verordnungswortlaut jedenfalls nacheinander einen Kindeshaushalt treffen. Wenn sie dies nicht getrennt hintereinander, sondern miteinander machen, ändert sich die epidemiologische Lage nicht. Daher ist es zusätzlich zu den Beispielen, die die Verordnung gibt, zulässig, dass ein Familienhaushalt einen Elternhaushalt trifft.

Eltern, Geschwister, Kinder sind Mehrzahlwörter

Noch dazu nennt die Verordnung im Klammerausdruck, der wohl begrenzend wirken soll, nicht Einzahlwörter, sondern Mehrzahlwörter: Eltern und nicht Elternteil; Geschwister und nicht Schwester oder Bruder. Nicht zuletzt heißt es nicht Kind, sondern Kinder.

Es ist also erlaubt, dass Eltern zu Silvester alle ihre volljährigen und minderjährigen (siehe unten) Kinder um sich scharen.

Auch verfassungsrechtliche Überlegungen stützen diese Auslegung, weil das Grundrecht auf Privat- und Familienleben nur aus starken sachlichen Gründen beschränkt werden darf.

Kinderfreundschaften retten Haushaltstreffen

Schon Sandkastenfreundschaften können Bezugspersonen im Sinn der Notverordnung schaffen, erst recht die Beziehungen von knapp 18-Jährigen. Und auch solchen minderjährigen Bezugspersonen ist es erlaubt, einen befreundeten Haushalt zu besuchen. Bei dieser Gelegenheit dürfen nach dem klaren Verordnungswortlaut ohne jede Einschränkung Aufsichtspersonen, wohl meist die Eltern, dabei sein:

§ 15 Ausnahmen
(2) Beschränkungen gemäß § 1, Betretungsverbote sowie Bedingungen und Auflagen nach dieser Verordnung gelten nicht
1. zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum oder
2. zur Wahrnehmung der Aufsicht über minderjährige Kinder.

Diese Rechtslage ermöglicht es, dass sich Familien mit ihren befreundeten minderjährigen Kindern rechtens und ungestraft treffen. In diesen Fällen bedeutet die ministerielle 1+1-Regel also nicht Haushalt trifft Einzelnen, sondern: Haushalt trifft Haushalt.





Obmannwahl zur Seuchenzeit

Viele Vereinsstatuten sehen jedes Jahr eine Mitgliederversammlung vor, in der die Organwalter des Vereins gewählt werden. Die COVID-19-Regeln erlauben heuer einem Verein auch entgegen seiner Satzung mehrere Besonderheiten:

a)  Mitgliederversammlungen dürfen notfalls trotz Ausgangssperre abgehalten werden.

b)  Sie dürfen bis ins Jahr 2021 verschoben werden.

c)  Sie dürfen virtuell abgehalten werden.

d)  Einzelne Abstimmungen dürfen brieflich erfolgen.

Unerwartetes Problem: Zeichnungsbefugnis

Hat ein Verein seine Mitgliederversammlung verschoben, kann er unversehens vor folgendem Problem stehen: Sieht ein Geschäftspartner, beispielsweise ein Kreditinstitut im Zentralen Vereinsregister (hier) nach, findet er womöglich, dass die Vertretungsbefugnis abgelaufen ist. Bei wichtigeren Geschäftsfällen oder bei Subventionsansuchen wird sich kaum jemand davon überzeugen lassen, dass aufgrund der erlaubten Wahlverschiebung die Registerauskunft gleichgültig ist. Rechtlich ist dies zwar tatsächlich der Fall, aber es gibt keine automatische Änderung des Registers.

Wie kommt man zu einer aktuellen Registereintragung?

1. Zeigt das Vereinsregister noch eine gültige Vertretungsbefugnis an, genügt eine Mitteilung an die Vereinsbehörde, dass die Mitgliederversammlung verschoben wird. Die Behörde ändert dann das Ablaufdatum.

2.  Die Vertretungsbefugnis kann im Vereinsregistereintrag abgelaufen sein, aber nach der Satzung noch nicht (typisch: „Die Funktionsperiode endet mit der Neuwahl.“). Hier weist man die Vereinsbehörde auf die entsprechende Satzungsbestimmung hin, damit sie das Ablaufdatum verlängert.

3.  Greifen die genannten Möglichkeiten nicht, kommt man an einer Neuwahl mit anschließender Wahlanzeige nicht vorbei.

Echte Versammlung im kleinen Kreis

Virtuelle Versammlungen (oben c) und Briefabstimmungen (oben d) können je nach Satzung aufwendig und fehlerträchtig sein. Wenn in einem Verein üblicherweise ohnehin nur wenige Mitglieder zur Wahlversammlung erscheinen, ist daher die gewöhnliche Versammlung noch die beste Möglichkeit, das Problem zu lösen. Selbstverständlich muss man auch gesunde Teilnehmer zu den üblichen Vorsichtsmaßnahmen veranlassen: Abstand, Maske, Desinfizieren, Lüften, ruhige Sprache.

Wie viele sind „einzelne Personen“?

Die geltende Corona-Notverordnung erlegt allen Menschen eine Ausgangssperre auf, welche neben anderen die folgende Ausnahme kennt:

COVID-19-Notmaßnahmenverordnung BGBl. II Nr. 479/2020:
§ 1. (1) Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und zur Verhinderung eines Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung ist das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs und der Aufenthalt außerhalb des eigenen privaten Wohnbereichs nur zu folgenden Zwecken zulässig:
...
3. Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, wie insbesondere
a) der Kontakt mit
...
bb) einzelnen engsten Angehörigen, ...

Die eigene Wohnung darf also für den Kontakt mit „einzelnen engsten Angehörigen“ verlassen werden. Noch bevor diese Verordnung überhaupt in Kraft trat, stellte die Regierung zwei unterschiedliche Auslegungen dieser Gesetzesstelle vor, die sich durch eine weitere ergänzen lassen.

Eine Regierung – zwei Meinungen

Am Sonntag meinte das Gesundheitsministerium, dass damit Treffen mit einigen wenigen Personen zulässig seien. Das lese man aus der Worterklärung des Duden. Peinlich ist nur, dass man offenbar beim Hauptwort „Einzelne“ nachgeschlagen hat, das im Verordnungswortlaut gar nicht vorkommt. Vielmehr hätte man beim Eigenschaftswort „einzeln“ die Wortbedeutung erkunden müssen, wahrlich eine schwierige Übung.

Am Montag schien man klüger geworden zu sein, wie der ORF nach einem Auftritt des Innenministers aus dem Gesundheitsministerium erfahren konnte. Eine Person alleine dürfe zu mehreren zu Besuch kommen.

Man darf nur einen allein treffen

Beide Lesarten entsprechen dem Verordnungswortlaut nicht. Nach dem darf man auf der Straße oder in einer fremden Wohnung nur Kontakt zu einer einzelnen Person aufnehmen. Eine Mutter darf sich also nicht mit der gesamten Familie ihres Sohnes treffen, sondern nur mit einzelnen Familienmitgliedern allein. Vielleicht war es so nicht gewollt, aber wenn Minister und ihre Legisten nicht einmal im Duden nachschlagen können, braucht man sich über ihren Sprachgebrauch nicht zu wundern.

Letztlich treffen also die Polizisten im Einzelfall die Entscheidung, ob dem Gesundheitsminister oder dem Innenminister oder der Staatssprache zu folgen ist.

Verweile doch . . . .

„... möcht ich ... auf freiem Grund mit freiem Volke stehn. Zum Augenblicke dürft ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!“ Das Goethe-Wort aus der letzten Szene von „Faust“ hat mit der jüngsten COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung etwas gemeinsam, was im Alltag der Seuchenzeit eine große Rolle spielen kann.

Ausgangssperre

Bis zum 30. November besteht in Österreich eine nächtliche Ausgangssperre, und man darf seine eigene Wohnung nach 20 Uhr nicht mehr verlassen, es sei denn zur Erholung im Freien oder in bestimmten wichtigen Fällen. Diese Gründe muss man der Polizei glaubhaft erklären können, und wer im Auto sitzt, wird dies schwer als Erholung im Freien darstellen können. Daher wird zuweilen die Meinung vertreten, man müsse den Heimweg so planen, dass man seine eigene Wohnung vor der Ausgangssperre wieder erreicht.

Beginnt oder endet der Heimweg um 20 Uhr?

Die Antwort entscheidet sich nach dem Wortlaut der Verordnung am Wörtchen „verweilen“.   § 2 Absatz 1 COVID-19-SchuMaV lautet:

„§ 2. (1) Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs und das Verweilen außerhalb des eigenen privaten Wohnbereichs von 20.00 Uhr bis 06.00 Uhr des folgenden Tages nur zu folgenden Zwecken zulässig:
1. Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum,
2. Betreuung von und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen sowie Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten,
3. Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens,
4. berufliche Zwecke und Ausbildungszwecke, sofern dies erforderlich ist, oder Teilnahme an gerichtlichen oder behördlichen Verfahren oder Amtshandlungen, und
5. Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung.“

Dass man die Wohnung nach 20 Uhr nicht mehr grundlos verlassen darf, ist klar. Ebenfalls verboten ist das „Verweilen“ außerhalb der Wohnung und damit sind wir bei Goethe: Dort soll ein Augenblick verweilen, Fausts Glücksmoment also andauern. Dem entspricht nach Duden auch der heutige Sprachgebrauch.

Was ist „Verweilen“?

Am Nachhauseweg soll der Aufenthalt außerhalb der Wohnung jedoch gerade nicht andauern, man will nicht draußen vor der Tür bleiben. Wer also direkt nach Hause strebt, verweilt nicht außerhalb der Wohnung. Die intentionale Bedeutungskomponente des Wortes bewirkt, dass der zügige Heimweg kein Verweilen bildet und daher auch noch nach 20 Uhr erlaubt ist.

Abgesehen davon stellt es gewöhnlich auch ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens dar, nach Hause zu kommen. Damit lässt sich gegenüber der Polizei auch die Ausnahmebestimmung der Ziffer 3 für den Heimweg während der Ausgangssperre heranziehen.

Auch der ausdrücklich genannte Sinn der Norm spricht nicht gegen diese Auslegung, weil die Ansteckungsgefahr sich auf dem Nachhauseweg wohl kaum anders darstellt als zuhause.