Apothekenkonzessionen „ohne 5.500“ erteilt

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich handelte rasch: Kaum war der klarstellende Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Juni 2016 (siehe hier) zugestellt, fällte es am 11. Juli drei Entscheidungen, die die Wünsche der Antragsteller erfüllten: Neukonzession in Pinsdorf, Neukonzession in Gramastetten mit Wegfall einer ärztlichen Hausapotheke, Standorterweiterung in Leonding.

Das Landesverwaltungsgericht begründet die drei Entscheidungen damit, dass § 10 Abs. 2 Apothekengesetz nun so gelesen werden müsse:

„(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

1. sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte eine ärztliche Hausapotheke befindet und weniger als zwei Vertragsstellen nach § 342 Abs. 1 ASVG (volle Planstellen) von Ärzten für Allgemeinmedizin besetzt sind, oder

2. die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt.“

Die Voraussetzung der bisherigen Ziffer 3, dass einer bestehenden Apotheke 5.500 zu versorgende Personen verbleiben müssen, ist nach Auffassung des Gerichts nicht mehr anzuwenden und dies sei die Folge mehrerer Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und einer unzureichenden Änderung des österreichischen Apothekengesetzes Anfang Juni (siehe hier). Demzufolge hätte auch die Apothekerkammer keine Bedarfsgutachten mehr zu erstatten.

Das Gericht zerreißt auch die Presseaussendung der Österreichischen Apothekerkammer zum EuGH-Urteil in der Luft: Deren Meinung, dass die Bedarfsprüfung weiterhin aufrecht bleibe, erweise sich als nicht tragfähig.

Ich empfehle jedem Interessierten, sich das Leiterkenntnis des Landesverwaltungsgerichts selbst anzusehen: Der Richter Hofrat Dr. Alfred Grof verfasste damit das beste Gutachten zur gegenwärtigen Lage des österreichischen Apotheken-Niederlassungsrechts, das man derzeit lesen kann. Vorwürfe gegen die Verfahrensbeteiligten und den Richter möge man sich ersparen: Die sind ja lediglich Überbringer der Nachricht, dass Österreich auch im Gesundheitswesen seine Souveränität weitgehend abgegeben hat.

Die Zukunft mancher österreichischen Apotheken ist nun mit vielen Fragezeichen versehen: Richten sich in laufenden Konzessionsverfahren die anderen Landesverwaltungsgerichte nach der Rechtsprechung in Oberösterreich? Übernimmt auch der Verwaltungsgerichtshof, der als nächster am Zug ist, die neu ausformulierte Meinung des Europäischen Gerichtshofs? Versuchen viele Glücksritter, die gegenwärtige Rechtslage zu nützen? Gewinnen sie den Wettlauf mit der Apothekerkammer, die am schnellsten Weg das Parlament von einer Gesetzesänderung überzeugen muss? Wie kann eine Neuregelung aussehen und dem europarechtlichen Kohärenzgebot genügen? Kann die Apothekerkammer ihr Begutachtungsrecht verteidigen? Wie stellen sich die vielen Rechts- und Wirtschaftsfragen dar, die sich jetzt ergeben werden?