Familientreffen bei Ausgangsverbot?

Die Feiertage um Weihnachten und Neujahr bilden in vielen Familien Gelegenheit, einander zu treffen. Glaubt man den Veröffentlichungen des Gesundheitsministers, ist dies in der heurigen Seuchenzeit strafbar. Die Erfahrung mit Ostererlass und mit falsch dargestellten Besuchsverboten lehrt jedoch, kritisch hinzusehen und die Rechtsquelle, nämlich die jetzt geltende COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, zu analysieren.

Auf sozialministerium.at ist kein Verlass

Man dürfe, heißt es auf der Website sozialministerium.at unter der griffigen Formel 1+1, als Haushalt nur eine einzige haushaltsfremde Person treffen, die überdies Bruder, Schwester, Vater, Mutter, Kind oder „Bezugsperson“ sein müsse. Dies wird aus folgender Bestimmung abgeleitet:

§ 1. (1) Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und zur Verhinderung eines Zusammenbruchs der medizinischen Versorgung sind das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs und der Aufenthalt außerhalb des eigenen privaten Wohnbereichs nur zu folgenden Zwecken zulässig:
...
3. Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens, wie insbesondere
a) der Kontakt mit
aa) dem nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebenspartner,
bb) einzelnen engsten Angehörigen (Eltern, Kinder und Geschwister),
cc) einzelnen wichtigen Bezugspersonen, mit denen in der Regel mehrmals wöchentlich physischer Kontakt oder nicht physischer Kontakt gepflegt wird,
b) die Versorgung mit Grundgütern des täglichen Lebens,
...
(3) Kontakte im Sinne von Abs. 1 Z 3 lit. a ... dürfen nur stattfinden, wenn daran
1. auf der einen Seite Personen aus höchstens einem Haushalt gleichzeitig beteiligt sind und
2. auf der anderen Seite nur eine Person beteiligt ist.

Rechtlich werden soziale Kontakte ähnlich wie der Kauf von Brot und Milch zu den notwendigen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gezählt.

Grundbedürfnisse nicht abschließend aufgezählt

Die Verordnung zählt diese Kontakte demonstrativ, also beispielhaft, auf, wie der Ausdruck „insbesondere“ im Einleitungssatz zeigt. Daran ändert Absatz 3 nichts, weil der sich ausschließlich auf eines der Beispiele, nämlich jenes der littera a bezieht. Es kann daher neben den beispielhaft aufgezählten Fällen noch andere Fälle erlaubter Kontakte geben. Diese Kontakte müssen, gemessen an den Zielen des Ausgangsverbots, den angeführten Beispielen vergleichbar sein.

Normziel ist es, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Mutter oder Vater dürfen nach dem Verordnungswortlaut jedenfalls nacheinander einen Kindeshaushalt treffen. Wenn sie dies nicht getrennt hintereinander, sondern miteinander machen, ändert sich die epidemiologische Lage nicht. Daher ist es zusätzlich zu den Beispielen, die die Verordnung gibt, zulässig, dass ein Familienhaushalt einen Elternhaushalt trifft.

Eltern, Geschwister, Kinder sind Mehrzahlwörter

Noch dazu nennt die Verordnung im Klammerausdruck, der wohl begrenzend wirken soll, nicht Einzahlwörter, sondern Mehrzahlwörter: Eltern und nicht Elternteil; Geschwister und nicht Schwester oder Bruder. Nicht zuletzt heißt es nicht Kind, sondern Kinder.

Es ist also erlaubt, dass Eltern zu Silvester alle ihre volljährigen und minderjährigen (siehe unten) Kinder um sich scharen.

Auch verfassungsrechtliche Überlegungen stützen diese Auslegung, weil das Grundrecht auf Privat- und Familienleben nur aus starken sachlichen Gründen beschränkt werden darf.

Kinderfreundschaften retten Haushaltstreffen

Schon Sandkastenfreundschaften können Bezugspersonen im Sinn der Notverordnung schaffen, erst recht die Beziehungen von knapp 18-Jährigen. Und auch solchen minderjährigen Bezugspersonen ist es erlaubt, einen befreundeten Haushalt zu besuchen. Bei dieser Gelegenheit dürfen nach dem klaren Verordnungswortlaut ohne jede Einschränkung Aufsichtspersonen, wohl meist die Eltern, dabei sein:

§ 15 Ausnahmen
(2) Beschränkungen gemäß § 1, Betretungsverbote sowie Bedingungen und Auflagen nach dieser Verordnung gelten nicht
1. zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum oder
2. zur Wahrnehmung der Aufsicht über minderjährige Kinder.

Diese Rechtslage ermöglicht es, dass sich Familien mit ihren befreundeten minderjährigen Kindern rechtens und ungestraft treffen. In diesen Fällen bedeutet die ministerielle 1+1-Regel also nicht Haushalt trifft Einzelnen, sondern: Haushalt trifft Haushalt.